Exerzitien mit Kind und Kegel

Erschienen in: Würzburger katholisches Sonntagsblatt
Erschienen am:  15.01.1995

Kennen Sie das? Ein treuer Mitarbeiter der Pfarrei hat sich nach langem Zureden und inneren Kämpfen entschlossen, endlich einmal Exerzitien zu machen. Der Pfarrer und die Frau geben sonst doch keine Ruhe. Am Montag reist er mit zwiespältigen Gefühlen ab. Am Freitag kommt er zurück. Er ist tatsächlich verändert. Er hat erlebt: Glaube ist mehr als Aktivität in der Gemeinde. Eine große Freude erfüllt ihn. Er spürt: Jetzt muß daheim alles anders werden. Strahlend betritt er sein Haus und erzählt begeistert. Seine Frau, seine 16jährige Tochter Dorothee und sein 14jähriger Sohn Wolfgang staunen. So haben sie den Vater noch nicht erlebt. Sie schauen ihn verständnislos an. Er erscheint ihnen etwas abgehoben. Vielleicht ist sogar Schlimmeres mit ihm geschehen. Niemand sagt es: Hat er noch alle Tassen im Schrank? Der Vater bemerkt die abweisende Atmosphäre. Am nächsten Tag macht er einen  neuen Versuch, seine Bekehrung herüberzubringen. Dieselbe Wirkung. Am dritten Tag noch ein Versuch. Dann gibt er auf. Der Anstoß aus den Exerzitien ist verpufft. Es waren schöne Tage, die er nie vergessen wird, aber ohne Auswirkung auf seine Familie.

 

Das ist ganz anders, wenn man in Heiligenbrunn (Diözese Regensburg) Exerzitien macht. Da ist nämlich die ganze Familie dabei: die Eltern, die größeren Kinder und die kleinen bis zu den Säuglingen. Vormittags gibt es ein getrenntes Programm für die Eltern und für die verschiedenen Altersgruppen der Kinder bis herunter zu den Krabbelkindern. Bei den Mahlzeiten im Speisesaal, am Nachmittag und nachts sind die Familien wieder beisammen. Nachmittags machen sie zusammen Ausflüge, gehen ins Schwimmbad oder spielen auf dem schönen Spielplatz. Nach dem getrennten Abendprogramm, währenddessen die Betreuer bei den Kindern vor den Schlafzimmern „Stallwache“ halten, wird der Tag von den Erwachsenen im „Hopfenkeller“ abgerundet.

Ich habe im vergangenen August bereits zum vierten Mal bei solchen zehntägigen Familienexerzitien in Heiligenbrunn im Erwachsenen-Programm mitwirken dürfen. Es geht davon ein unermeßlicher Segen aus. Und es geschieht wirklich etwas in den Familien. Alle haben einen neuen geistlichen Anstoß erhalten und ordnen in der gemeinsamen Überzeugung ihr Leben neu. Die Bibel erhält ihren Platz im Leben. Die Eltern haben ihre Ehe neu und tiefer entdeckt. Ihre gegenseitige Liebe hat eine neue Dimension bekommen. Sie haben gelernt, miteinander zu reden, auch über Themen, die vorher tabu waren. Sie haben das Gebet und den Gottesdienst neu zu schätzen und zu vollziehen gelernt als eine reiche Quelle ihres Familienlebens. Und so schreiben mir viele Teilnehmer, manchmal nach langen Monaten, wie dankbar sie für die Anstöße sind, die sie bei diesen Exerzitien für ihr tägliches Leben und für ihre Aufgaben in der Pfarrei erhalten.

 

Was das Exerzitienhaus dabei leistet, ist enorm. Es braucht eine ganze Mannschaft, die dafür arbeitet:

Leiter des Hauses, ein hauptamtlicher Diakon; die Kinder- und Jugendbetreuer, lauter ehrenamtliche Leute, die selber eines Tages vom Glauben erfaßt wurden und nun ihre Freizeit und ihren Urlaub opfern, diesen Sommer waren es deren sechs; das Küchenpersonal; hauptsächlich aber eine Lebensgemeinschaft von drei Familien mit insgesamt 14 Kindern, die sich dem Apostolat an Familien verschrieben haben und im Haus verschiedene Dienste leisten, vom Herrichten der Zimmer bis zur Übernahme von Vorträgen bei den Exerzitien. Letztes Jahr hat diese Lebensgemeinschaft nach drei Probejahren vor dem Weihbischof von Regensburg ein ordensähnliches Gelübde abgelegt, sich gegenseitig als Brüder und Schwestern anzunehmen und in Treue zur Kirche zur Erneuerung christlicher Ehen und Familien beizutragen. Heiligenbrunn hat eine lange Tradition als Marienwallfahrtsort, der auch heute noch das Jahr über von vielen Prozessionen und Einzelpilgern besucht wird. Am Anfang stand 1662 die Heilung eines Bauernsohnes Melchior Paur, der beim Schindelnachstecken vom Stalldach gefallen war und dabei die Sprache verloren hatte. Er fand seine Sprache wieder, als er auf Geheiß der Gottesmutter Wasser aus einer Quelle schöpfte, die ein Jahr zuvor an einer Feldwegkreuzung entsprungen war. Die Quelle ist heute in einer kleinen Brunnenkapelle gefaßt. Daneben entstand in der Barockzeit die wunderschöne Wallfahrtskirche mit dem eigenartigen Hochaltar und gegenüber das große Exerzitienhaus, das bis 1989 Knabenheim-Volksschule unter der Leitung von Ordensschwestern gewesen war. Außerdem gibt es noch Nebengebäude und ein Haus für einen Wallfahrtspriester. Das ist dann auch schon das ganze Heiligenbrunn. Ringsum liegen große Felder, Wiesen und Wälder. Von Stummheit werden jetzt wieder neu dort Eheleute geheilt, die nicht mehr miteinander und mit ihren Kindern reden konnten, und Menschen, die nicht mehr beten konnten und vor Gott stumm geworden waren.

 

Das Programm des Hauses umfaßt nicht nur Familienexerzitien, sondern auch Wochenenden für Ehepaare und Brautpaare, Väter-Söhne- und Mütter-Töchter-Seminare sowie Wochen für Ehepaare um die Lebensmitte. Für die nähere Umgebung bietet Heiligenbrunn Vorbereitungskurse zur Leitung von Kommunion und Firm-Gruppen, Schulungen von Pfarrgemeinderäten, Einführungen in Kinderbibelwochen und so weiter. Beachtlich viele Menschen aus allen deutschen Sprachgebieten finden den Weg nach Heiligenbrunn. Im vergangenen Jahr gab es dort rund 4000 Übernachtungen.

Das Programm für das neue Jahr kann direkt in Heiligenbrunn angefordert werden: Familien mit Christus e.V., Diakon Franz-Adolf Kleinrahm, 84098 Hohenthann-Heiligenbrunn, Telefon 08784/278.

Jedenfalls freue ich mich schon darauf, dieses Jahr im August wieder dort an Familienexerzitien mitwirken zu dürfen: „In der Familie mit der Bibel leben.“

Joachim Korbacher. Pfarrer von Untersteinbach/Steigerwald