Familienexerzitien und Pfarrgemeinde

Erschienen in: Familie und Pfarrgemeinde. Beispiele lebendiger Familienseelsorge, Eine Handreichung des Familienbundes der Deutschen Katholiken (Hrsg.), Bonn 1988, S. 29-31
Erschienen am:  01.01.1988

Durch eine überregional angebotene Familienexerzitienwoche in den Schulferien hat eine Familiengruppe den Impuls zu einem gemeinsamen Weg in der Pfarrgemeinde erhalten. Sie trifft sich monatlich an einem Sonntag zu Gebet, Spiel und Gespräch in ihrer Pfarrgemeinde. Die Eltern leben mit den Kindern Gemeinschaft im Glauben und erfahren bei diesen Treffen in besonderer Weise die Liebe und Kraft des Wortes Gottes. Lohnt es sich für eine Familie, einen Teil ihres Urlaubs so zu verbringen? Was bieten solche Kurse? Welche Impulse trugen dazu bei, dass es zu Hause weiterging?

 

Krise christlicher Familien

Manche Familien, die die christlichen Bräuche ihrer Herkunftsfamilien verloren haben, erfahren den „Verlust leibhaften Ausdrucks“ ihres Lebens mit Gott als „Gefährdung der Frömmigkeit“ (Gotteslob 41,2). Die Eltern wurden durch die Teilnahme an Einkehrtagen oder Treffen geistlicher Bewegungen sensibel für diese „Weisen der Verleiblichung der Frömmigkeit, die nicht ohne Rückwirkung auf unseren inneren Mitvollzug bleiben“ (Gotteslob 42,2). Sie suchten Hilfestellung für sich und ihre Kinder; sie wollten „jene falsche Scheu überwinden, die Familienmitglieder hindert, vor- und miteinander zu beten“ (Gotteslob 20), sie suchten Anregungen für die „innere Mission“ in der Familie

Sehnsucht der Eltern

Es gibt vor allem drei Zugänge zu Familienexerzitien:

  1. Schwierigkeiten der Ehegatten, die Kunst des Gesprächs zu pflegen, Enttäuschungen und Krisen, die ggf. aus Verzweiflung auf Gott geworfen werden sollen.
  2. Hunger der Eltern, ein herzliches Verhältnis zum Ehegatten, zu den Kindern, zu Gott zu erlangen bzw. zu empfangen.
  3. Eine Woche des Urlaubs in froher Gemeinschaft mit anderen Christen zu verbringen und dadurch Ermutigung zum Christsein im Alltag einer säkularen, antichristlichen Umwelt zu erfahren.
Kursrahmen

Es gibt Kurse für Familien in einer Dauer vom Wochenende an aufwärts und mit unterschiedlichen Impulsen von einer bis acht Stunden je Tag. Hier wird von in der Regel achttägigen Kursen berichtet.

Die Eltern treffen sich vor- und nachmittags für jeweils zwei bis drei Stunden zu Vortrag, Gespräch in der Ehe, in Kleingruppen und in der Beichte, Bibelarbeiten und gemeinsamem Gebet, auch kraftvoll gesungenem Lobpreis, z. T. gemeinsam mit den Kindern, und feiern abends Eucharistie. Die Kinder und Jugendlichen werden in fünf Gruppen von je zwei Mitarbeitern(innen) betreut, erfahren eine wohlwollende Atmosphäre der Zuwendung und Liebe und werden altersgemäß zu einem herzlichen Verhältnis zu Jesus Christus geführt; auch am Abend sind Mitarbeiter bei den Kindern, damit die Eltern wirklich frei von Sorge sein können.

Ein Ehepaar schrieb ein Jahr nach dem Kurs: „Die Ehepartner hatten unerwartet Zeit füreinander, Zeit, in der sie sich bewusst und unter Anleitung mit ihrer Ehe auseinandersetzen konnten. Sehr positiv wurde der Austausch mit den anderen Ehepaaren empfunden, die teilweise schon seit Jahren versuchen, ernsthaft aus ihrem Glauben zu leben, und zwar nicht nur als einzelne, sondern auch als Ehepartner oder als Familie. Das war für uns ziemlich neu, wirkte auf uns ‚Neulinge‘ ermutigend und ansteckend.“

Ziele im Elternprogramm

Sämtliche Impulse dienen dazu, eine „persönliche Glaubensentscheidung möglich zu machen“ (Gotteslob 44,2). Die Frage nach dem Sinn des Lebens wie nach dem Bild, das die einzelnen von Gott haben, wird in biblischer Weise behandelt. Beim Thema „Christliche Kommunikation in der Ehe“ helfen Briefe, die sich die Ehegatten in Liebe schreiben, zu Gesprächen zu kommen, in denen sich die Partner von Herz zu Herz austauschen, einander teilhaben lassen an ihren Gefühlen und Wünschen. Die Besinnung auf die Konturen biblischer Ehen akzentuiert die eigene Ehepraxis.

In der Weiterführung geht es um die Annahme der Lebensgeschichte, um Versöhnung, Vergebung und Heilung von Verletzungen, die jeder vom anderen erhalten hat. In Seelsorgegesprächen und persönlichem Gebet geschieht Befreiung von Hindernissen, um am Leben teilzuhaben (vgl. Joh 1,16). Auf diesem Weg hilft eine eucharistische Anbetung, in der um Heilung der eigenen Lebensgeschichte gebetet wird.

In einem festlichen Gottesdienst gegen Ende des Kurses wird allen angeboten, ihr Tauf-, Firm- und Eheversprechen persönlich zu erneuern (Gotteslob 50,1; 52,5). Dies soll in Freiheit geschehen, so wie sich der einzelne bzw. das Ehepaar von Gott gerufen weiß. Im gemeinsamen Basteln, beim Familiengottesdienst und bei einem evangelistischen Straßeneinsatz (bei einem der weiterführenden Seminare) erlebten sich die Familien gemeinsam im Dienst Christi (vgl. Gal 5,13b). In weiterführenden Vorträgen geht es um das Leben aus den Sakramenten, um die Annahme des Ehegatten als Gabe („Charisma“) Gottes, um die Offenheit für die verschiedenen Gnadengaben im Alltag, Gebet und Umgang mit der Bibel in der Familie, Erziehung, familiäres Glaubenstraining und Lebensstil.

Die Vorträge werden vor allem von Ehepaaren gehalten, die berufsbedingt theologisch-psychologische Kenntnisse für diesen ehrenamtlichen Dienst mitbringen und selbst den Weg einer geistlichen Erneuerung ihrer Ehe und Familie gehen (in einer ehespirituellen Aufbruchsbewegung unserer Kirche).

In der Kursgemeinschaft wird Kirche als heilende Gemeinschaft, als lebendiges, einander dienendes Volk Gottes erfahren; so finden auch kirchlich Distanzierte neu zur Gemeinde.

Früchte im Alltag

Die o. g. persönliche Glaubensentscheidung ist ein Ziel eines derartigen Familienexerzitienkurses, da die Gnade des Sakramentes der Ehe ihre Kraft in der Treuebindung an Gott entfaltet. Fruchtbar wird Ehe im Alltag: Eltern bezeugen, dass sie ihren Kindern nach dem Kurs liebevoller begegnen konnten; Gott eroberte in ihrem Leben Terrain und schenkte eine Verchristlichung der Gefühle, die den Umgang miteinander in der Familie bestimmen. Wenn Eltern glauben, können sie glaubhafter ihren Kindern und Jugendlichen mit Tat und Wort bezeugen, dass Gott sich seiner Kinder erbarmt („Ich war da für sie wie die Eltern, die den Säugling an die Wange heben.“ Hosea 11,3ff.).

Ein Vater schrieb nach dem Seminar: „Ich selbst muss immer wieder daran denken, wie mich meine Frau zu diesem Seminar fast mitziehen musste. Ich war sehr skeptisch und vieles war mir ungewiß. Doch wenn ich heute zurückdenke, habe ich durch dieses Seminar eine Erneuerung unserer Ehe und eine Heilung an Leib und Seele erfahren. Meiner Frau geht es genauso. Inzwischen gehöre ich unserem Männerbibelkreis an, was mir vor einem Jahr noch undenkbar gewesen ist. In dieser Gemeinschaft vertiefen wir uns im Evangelium und nehmen uns gegenseitig in christlicher Liebe an.“

Diese Weiterführung in einer Gemeinschaft von Familien zu Hause, in Bindung an die Pfarrgemeinde und verfügbar für Dienste vor Ort, ist eine der frohmachenden Früchte solcher Familienexerzitienarbeit. Hier wird die Grundspiritualität der Kirche intensiviert, Taufe und Ehesakrament gewinnen neu Farbe, Volkskirche wird verlebendigt. Hier wird lebendig, was die deutsche Synode 1975 formulierte: „Lebendige Pfarrgemeinden, in denen vielfältige Geistgaben zusammenwirken, sind eines der wichtigsten Ziele kirchlicher Reformbemühungen“ (Dienste und Ämter, 1.1.1). Geistliche Bewegungen leisten hier einen wesentlichen, unersetzlichen Beitrag zur Verlebendigung der Pfarrgemeinden.

Die wichtigsten Zellen geistlicher Erneuerung sind die christlichen Ehen und Familien. Sie öffnen sich unter dem Wirken des Heiligen Geistes für den Dienst der Kirche und Gesellschaft. Familien entdecken in Gemeinschaft Gleichgesinnter einen neuen Lebensstil – alternativ zur Welt in Gottes Ordnung - und werden zu Zellen der Glaubensweitergabe, der Evangelisation. Einzelne halten z. B. in ihrem Dekanat ein von solchen Familienexerzitien inspiriertes Eheseminar über mehrere Abende, ein „Ehe-Katechumenat für Getaufte“.

Literaturhinweis: Florian Runter, Josef Stimpfle, Otto Wüst (Hrsg.), Erneuerung aus dem Geist Gottes, Ermutigung und Weisung. Mit einem Kommentar von Heribert Mühlen, Mainz 1987.