Wenn wir als Eltern den eigenen Glauben an Jesus Christus nicht offensiv vertreten, werden unsere Kinder von anderen in Besitz genommen und (nach menschlicher Wahrscheinlichkeit) nicht die Freiheit in Christus erfahren. Andererseits steigt in christlichen Familien manchmal die Furcht vor Isolierung in der Nachbarschaft, in der Gesellschaft auf, denn diese Familien leben alternativ zur Welt, eben in Gottes Ordnung.
Kinder hören auf das, was wir leben, nicht auf das, was wir sagen. Das Glaubwürdigste ist das Vorbild. Wir müssen uns als Eltern immer wieder der Frage stellen: Lebe ich, was ich verkünde? Wir machen als Eltern keine Aufführung für Zuschauer, sondern schaffen eine primäre Welt (im Gegensatz zur virtuellen Welt). Die Kirche, die in den Familien erwacht, die Hauskirche ist Hoffnung in einer zunehmend glaubensfeindlichen Welt.
Im Begriff Familienkultur steckt das Wort "kultivieren"; es bedeutet: bearbeiten, urbar machen, verfeinern, menschlicher machen, sorgsam pflegen. Ein Völkerkundler würde vielleicht in seinem Faszinationsatlas notieren: Lieblingsbeschäftigung dieser Gruppe von Ehepaaren mit einer überdurchschnittlichen Zahl von Kindern (kinderreich sind in Deutschland 6% der Ehepaare) ist das Gespräch mit ihrem "persönlichen Chef", was sie Gebet nennen, und das Umsetzen seiner Pläne; ihre Theologen sprechen von einem persönlichen, freudigen, entschiedenen Verhältnis zu Jesus Christus.
Seit 1985 habe ich als Leiter von Ehe- und Familienexerzitien von Gottes Geist durchwirktes Familienleben beobachtet und begleitet. Es ist eine bodenständige Spiritualität* , denn der Alltag ist bei solchen Exerzitien in Gestalt des Ehepartners und der Kinder mit dabei. Solcher Familienurlaub wird oft zur Familienwerkstatt, und zugleich werden Geschwister, eine Gemeinschaft von geistlich suchenden Familien hinzugeschenkt. Vieles des von mir bei Hausbesuchen Beobachteten könnte sofort auch anderswo umgesetzt werden.
Es geht mir darum, Familien die Berufung zu eröffnen, aus der Freude und Kraft der Beziehung zum dreifaltigen Gott ihr persönliches Leben, Kirche und Gesellschaft zu gestalten.
Aus der Erfahrung unserer Kurse möchte ich einen methodischen Tip geben: Legen Sie sich eine "Checkliste Familienkultur" an (siehe Skizze). Ein querliegendes A4-Blatt teilen Sie mit fünf senkrechten und drei waagerechten Strichen in gleichgroße Felder ein. Schreiben Sie in die Kopfzeile als Überschriften in Spalte zwei bis sechs die nachfolgenden fünf Überschriften, in die erste Spalte setzen Sie in die Zeilen zwei bis vier "Vollzug in Ordnung, Vollzug gelegentlich gelungen, unerledigt". übertragen Sie die Anregungen dieses Artikels in die zutreffenden Felder, gewinnen Sie so ein Bild Ihrer Familie, ergänzen Sie um Ihre individuellen Formen und markieren Sie abschließend, was Sie sich als "Hausaufgabe" vornehmen bzw. ins Gebet nehmen wollen.
Religiöse Praxis muß in einer säkularisierten Gesellschaft und bei einer oft entchristlichten eigenen Familiengeschichte neu gewonnen werden. Der Wert alter Formen kann dabei neu entdeckt werden, oder neue Formen werden entwickelt (z.B. vom Herrgottswinkel zur Gebetsecke mit Gebetshockern).
Was hilft Eltern, ihre Berufung als Christen zu leben, darin zu wachsen und den Kindern zu helfen, daß sie ihre Berufung erkennen und ergreifen? Was hilft, als Familie zu einer Zelle des geistlichen Lebens zu werden? Das Folgende ist kein Leistungskatalog aus kirchenamtlichen Dokumenten, der vielleicht Aggressionen wecken könnte, sondern es sind Praxisbeobachtungen bei gottsuchenden und glaubensfrohen Ehepaaren und Familien mit Kindern und Jugendlichen. Die Erfahrungen zeigen, daß christliche Ehe lebbar ist. Ich bin äußerst dankbar, solchen Familien begegnen und an ihrem Leben teilnehmen zu dürfen.
Keiner verwirklicht alles, jeder geht seinen / ihren Weg. Ich berichte auf der Grundlage von Begegnungen mit zahlreichen Ehepaaren, die ihre Beziehung mit Gott gestalten und mit ihren Kindern christlich leben. Es sollen Anregungen sein, auszuprobieren, was in der eigenen Familie auf dem Weg hilft.
In Zusammenschau dieser Erfahrungen gibt es vielleicht so etwas wie heiliges Erschrecken: es gibt sie wirklich, Heiligkeit heute. Spricht nicht Paulus die von ihm gegründeten Gemeinden an "Ihr Heiligen von ...". Diese Summe von Lebenshilfen macht Hoffnung. Ich verstehe sie als kleine Senfkörner, die zu weitästigen Bäumen heranwachsen, in denen viele Vögel ihre Nester bauen können.
Es geht nicht zuerst darum, einzelne Übungen wie z.B. Familienandachten zu machen, sondern vorrangig ist es, einen christuszentrierten Lebensstil aufzubauen: den Kindern helfen, Gott zu lieben, als Jüngerin und Jünger zu leben. Es wird sichtbar: wir gehören Gott. Und dieser Gott liebt uns total.
Wir leben in Raum und Zeit. Daher sortiere ich die Erfahrungen nach Gestaltung der Wohnung bzw. des Hauses und entsprechend der Rhythmen unseres Lebens, der wiederkehrenden Wechsel von Tag, Woche, Jahr und dem weiten formgebenden Bogen von 7-Jahre-Rhythmen.
Hier wird der Lebensstil im Geiste Jesu sichtbar und eingeübt. Raum prägt, schafft Atmosphäre. Beispielsweise ist die Größe des Fernsehers und seine Position in der Wohnung oft ein Hinweis auf den Umgang mit diesem Medium in der Familie. In der Regel hat er im christlichen Milieu den Herrgottswinkel (mit Kreuz, Madonna, Blumen) ersetzt.
Wie in einer Beziehung zu Freunden geht es auch in der Beziehung zu Gott darum, zusammen Zeit zu verbringen, still miteinander zu sein, einander seine Wertschätzung auszudrücken und seine Pläne mitzuteilen. Dies ist in unserer Gesellschaft beinahe ein archaisches Projekt, da es doch dem Gesetz der Effizienz widerspricht: Produktionssteigerung, Beschleunigung und Mobilität. Da gute Zeiteinteilung eine Quelle von Zeit ist, hilft Planung, daß Familie gelebt wird und weniger unter Zeit-Zerriß leidet.
Im Beruf sind wir es vielfach gewohnt, langfristig zu planen. Unsere meisten Körperzellen erneuern sich alle sieben Jahre. Was soll sich in solchen Zyklen im geistlichen Leben wandeln?
Manches aus den vorgenannten Rhythmen wird uns länger als Anruf oder Aufgabe beschäftigen und dürfen wir im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit mit in diese langfristige Planung hineinnehmen, um uns immer wieder zu erinnern.
Es ist vielfach empirisch belegt, daß eine überdurchschnittliche Religiosität überdurchschnittliche "Psychohygienewerte" ergibt: Der Glaube an einen gütigen Gott geht mit einem höheren Grad an seelischer Gesundheit einher, erleichtert die Bewältigung von Streß, Kummer, Verlust und Lebenskrisen und beschleunigt Genesungsprozesse; die Gläubigen konsumieren weitaus weniger Drogen und Alkohol als die Nicht-Gläubigen, begehen weniger Selbstmorde, haben niedrige Scheidungsraten und sie haben besseren Sex.
In christlichen Familien erfahren wir neben dem Licht auch Schatten. Wir sehnen uns nach gelingender Kommunikation, nach Einheit, Kommunion miteinander. Und sie ist uns verheißen, Jesus Christus hat selber für uns darum den Vater gebeten. Heil und Zerbruch sind oft zeitgleich in unserer Mitte. Ich möchte abschließend ermutigen, uns auch auf unsere Gebrochenheit einzustellen, Leiden anzunehmen, es zu durchleben, sich mit ihm auszusöhnen. Gerade in einer kleinen Gemeinschaft, hier in der Familie, können wir einander helfen, unsere Gebrochenheit als Tor zur Freude zu erschließen und sie unter den Segen Gottes zu stellen. So können wir zur Gabe füreinander werden. Teilen wir so das Leben miteinander, werden wir zur Nahrung füreinander. Vertrauen wir Gott und bauen wir auf seine uns umfassende Liebe.
Der Autor Franz-Adolf Kleinrahm ist Diakon und leitet mit seiner Frau Angelika die katholische Gemeinschaft "Familien mit Christus" und das von dieser getragene Geistliche Familienzentrum in Heiligenbrunn, Diözese Regensburg.
* Katholische Bischöfe formulierten als Einführung in das christliche Leben für das gemeinsame Gebetbuch: "Eine nur innerliche Frömmigkeit ist keine christliche Frömmigkeit; vielmehr muß der ganze Mensch beteiligt sein, wenn wir uns Gott zuwenden. Der Verlust leibhaften Ausdrucks oder der Verzicht darauf sind Gefährdung der Frömmigkeit. Manches wird uns innerlich gar nicht ganz zu eigen, wenn wir es nicht auch äußern." (Gotteslob, Stuttgart 1975, Nr. 41,2) Es geht dabei nicht um einen Glauben an diese oder jene Frömmigkeitsform oder Frömmigkeitsleistung, sondern um eine Beziehung zu Gott. Die Eltern übernehmen bei der Taufe die Pflicht, ihrem Kind "durch Vorleben des Glaubens die spätere persönliche Glaubensentscheidung möglich zu machen" (Nr. 44,2).